Stellen wir uns für einen Moment vor, Hamlet wäre keine tragische Figur von Shakespeare aus dem frühen 17. Jahrhundert. Stellen wir uns vor, er wäre ein postmoderner kreativer Kopf voller Gedanken. Hätte seine existentielle Frage dann noch immer To be or not to be gelautet? Oder vielleicht eher: To do or not to do? Am besten hätte er sich gefragt: What to do and what to do first? Eine To-do-Liste hätte seinem zerrissenen Gemütszustand sicher Abhilfe geschaffen.

22. Oktober 2019

Ob als Knoten im Taschentuch, als neongrüner Klebezettel am Arbeitsbildschirm oder als Tafel am Kühlschrank, auf der mit Kreide unordentlich Eier, Butter, Brot geschrieben steht. Als Push-Benachrichtigungen unseres Smartphone-Kalenders oder als Smartwatch, die uns darauf aufmerksam macht, dass noch 3.000 Schritte zu unserem Tagesziel fehlen. Erinnerungen sind überall. Und damit meine ich nicht die sentimentale Rückbesinnung, sondern die kleinen Gedächtnisstützen, die uns den Alltag erleichtern und unser Handeln leiten. Kurze Memos an unser zukünftiges Ich, was wir wann noch erledigen wollten.

Abhängig von To-do-Listen

Den zivilisatorischen Höhepunkt erlebte das Sammeln von Gedächtnisstützen mit der Erfindung der To-do-Liste. Fein säuberlich notiert und je nach Gusto mit Daten und Fristen versehen, hilft sie, den Kopf nicht zu verlieren, prozessorientiert und strukturiert zu Arbeiten und so im nächsten Schritt erfolgreich zu sein. Das versprechen zumindest Anbieter von Apps wie Todoist oder Evernote. Aber ist das so? „Demotivierend“, skandierten renitente Gegner, gäbe es so etwas wie eine Anti-To-do-Listen-Demo. Und: „Lieber eine Done-Liste anstelle einer To-Do-Liste“. Letztere führe einem sowieso nur vor Augen, was genau man (noch) nicht geschafft hat.

Hier gilt es nun aber eine Lanze für die gute alte Pendenzenliste zu brechen. Denn sie ist alles andere als demotivierend. Selbstverständlich muss man erst einmal mit dem Abarbeiten beginnen. Hat man diese Hürde allerdings genommen, ist die To-do-Liste eine wahre Motivationsquelle, die wirren Gedanken den Kampf ansagt. Eine Muse für die Kunst des effektiven Zeitmanagements. Dann stachelt einen der Wunsch nach dem grünen Haken hinter der Aufgabe an. Einmal mit Schwung ausgeführt, macht das symbolisierte „Erledigt“ geradezu süchtig. Hätte doch nur jemand einen Warnhinweis vermerkt: To-do-Listen machen abhängig.