Eigentlich hat es Reinhard Mey schon im Jahr 1977 auf den Punkt gebracht, als er seinen Hit „Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars“ veröffentlichte: Behörden mögen es gerne kompliziert. Das ist aber nicht nur in ihren Prozessen der Fall – beispielsweise bei der „Bestätigung der Nichtigkeit des Durchschriftexemplars“. Auch die Sprache der bürokratischen Mühlen weist einige Besonderheiten auf, bei denen selbst der versierteste Deutsch-Sprechende denkt, er versuche in China einen Weg zu erfragen. Ein Beispiel gefällig? Was verbirgt sich wohl hinter einer nicht lebenden Einfriedung? Warum sagt man nicht einfach Zaun? Aus aktuellem Anlass musste ich mich einfach mit diesem Thema beschäftigen.

13. Oktober 2020
Aus dem Kuriositätenkabinett der Verwaltungssprache

Besonders wenn es um Pflanzen geht, scheint die Verwaltung ein wahres Wunderwerk geschaffen zu haben. Da wird das Unkraut schnell mal zur Spontanvegetation, ein Baum wird als Invasor abgestempelt – ein raumübergreifendes Großgrün. Mit Abstand am besten aber gefällt mir, dass Gras auch so sozial veranlagt ist: Bei einer Autofahrt ist immer ein freundliches Straßenbegleitgrün an meiner Seite – besser bekannt als begrünter Mittelstreifen. Und weil es so schön ist: Auch bei der Familienplanung lässt sich der Staat in seiner Verwaltungssprache einiges einfallen. Denn wenn eine weibliche Person (Frau) und eine männliche Person (Mann) sich dazu entschließen, eine männliche oder weibliche Nachkommenschaft (Junge oder Mädchen) zu adoptieren, spricht man von: Beelterung. Dieses Wort kennt das Textverarbeitungsprogramm übrigens ebenso wenig wie das oben erwähnte Großgrün.

Muss es denn so kompliziert sein?

Man kann ihn in Teilen nachvollziehen: den Wunsch, durch Sprache absolute Präzision zu erzielen. Schließlich müssen beispielsweise Verordnungen auch rechtssicher sein und ihre Sprache juristischen Maßstäben entsprechen. Das Streben nach Präzision hat leider eine negative Auswirkung auf unser sprachliches Wohlbefinden: Es kommt zu Mammutkonstruktionen, die aus vielen Nebensätzen bestehen. Zu absurden grammatikalischen Formen, zu einem exorbitanten Einsatz von Passivkonstruktionen. Spaß beim Lesen kommt da sicher nicht auf. Aber dafür ist es ja auch nicht gedacht. Man würde sich zwar wünschen, dass aus „Es muss verbracht werden“ ein klares „Bringen Sie es dorthin“ wird. Aber für die Aufgabe, die dieser besondere deutsche Dialekt erfüllen soll, hat das schon seine Richtigkeit. Und da sind wir an genau dem Punkt, auf den ich hinauswill.

Mit der passenden Sprache kommt man weiter

Sprache erfüllt einen Zweck. Ein und dieselbe Person kann sich deshalb für verschiedene Zwecke verschiedener Sprachformen bedienen. Oder denken Sie, ein Beamter spricht auch in seiner Freizeit so? Als Beamtenkind kann ich sagen: Dem ist nicht so. Verwirrung kommt immer dann auf, wenn derlei Sprachvariationen außerhalb der eigentlich angedachten Zielgruppe wahrgenommen werden. Beispielsweise von mir als Nicht-Verwaltungsmensch ohne juristischen Hintergrund. In der Kommunikation schaffen wir keinen besonderen Dialekt. Aber auch wir achten natürlich darauf, dass wir unsere jeweiligen Zielgruppen richtig ansprechen. Manchmal ist Fachvokabular nötig, weil bestimmte Begriffe bei der Leserschaft vorausgesetzt werden können. Und manchmal schreiben wir so, dass Oma Erna es auch versteht und gerne liest.

Wir sind in unserer eigenen Muttersprache multilingual – von Freizeit-Slang bis Bewerbungsanschreiben. Bei dieser großen Auswahl an Sprachvariationen ist es auch oder besonders für Kommunikatoren herausfordernd, die richtige für diesen einen Sinn und Zweck, für diese eine Botschaft zu wählen. Mit der Dialoggruppe vor Augen, der passenden Tonalität in den Ohren und der Botschaft im Hinterkopf kann das aber gelingen. Die Übung bringt uns hier weiter. Auch das weiß Reinhard Mey: „Mein Verhältnis zu Behörden war nicht immer ungetrübt / Was allein nur daran lag, daß man nicht kann, was man nicht übt“!