Wir sind nicht nur vor dem Gesetz alle gleich, sondern auch vor einer anderen großen Instanz unserer Zeit: der Massenmail. Sie funktioniert völlig diskriminierungsfrei, denn ganz gleich wer Sie sind – solange Sie etwas mit Medien zu tun haben, sind Sie vor allem ein Medienvertreter. Und als solcher ein wichtiger Teil des filigranen Uhrwerks unseres Informationszeitalters. Da ist es nur logisch, Sie auch als solchen zu begrüßen.

04. Juni 2019
Scheinbar solidarisch

Wie oft erhalten nicht nur Journalisten, sondern auch wir PR-Spezis eine Nachricht, die uns das gleich zu Beginn in Erinnerung ruft: „Liebe Medienvertreter“, heißt es da. Und schon fühle ich mich abgeholt. Mir wird geradezu wohlig-warm ums Schreiberherz. Kann es denn sein, dass ich auch dazugehöre? Wen kümmern schon persönliche Ansprachen, ich will Teil des großen Ganzen sein! Irgendwas mit Medien eben – warum nicht Medienvertreter?

Der späte Ausgleich und eine willkommene Genugtuung für die damals verlorene Klassensprecherwahl. Und dann noch das „Lieber“ davor! Nicht so ein profanes „Hallo.“ Das wäre dem Anlass schließlich nicht angemessen. Ein „Sehr geehrter“ wäre viel zu distanziert. Nein, hier sind schließlich Profis am Werk, die gleich zu Beginn so viel Wertschätzung wie möglich vermitteln wollen. Das kommt natürlich an. Ich kann meine Augen nicht abwenden, will die Botschaft dieses Anliegens regelrecht aufsaugen. Die Faust als Zeichen meiner Solidarität geballt und bereit, meine Kollegen mit dem Ruf „Medienvertreter dieser Welt, vereinigt euch!“ zu verstören, sitze ich vor dem Bildschirm und warte auf die Signale.

Doch vergeblich. Es folgt kein Aufruf zum solidarischen Schulterschluss mit den Zunftgenossen, sondern eine profane Werbung, so stark absenderorientiert, dass sogar der Empfänger verloren gegangen ist. Das hatte ich mir anders vorgestellt. Und die Freude über ein Zeichen kollegialer Solidarität weicht der Enttäuschung über diese schamlos floskelhafte Begrüßung, die sich in kürzester Zeit selbst demaskiert hat. Fassungslos sitze ich vor dem Bildschirm, fühle mich ernüchtert, ja geradezu vorgeführt. Nach einem kurzen Moment des Innehaltens lösche ich die Nachricht weitestgehend ungelesen mit einem leisen Seufzen und frage mich, wer sich in diesen informationsüberfluteten Zeiten noch den Luxus erlauben kann, auf eine persönliche Anrede zu verzichten. Sie vielleicht, liebe Leser? Oh – sagen Sie nichts. Ich merke es gerade selber.