Es ist gar nicht so lange her, da fristete der Rap in Deutschland noch ein Nischendasein. Heute stehen die Stücke von Rappern auf den Hitlisten der Musik-Streaming-Plattformen und Videoportalen ganz oben. Ihre nicht selten provokanten Texte, von künstlichen Beats eingängig getrieben und im wieselflinken Sprechgesang vorwiegend in deutscher Sprache vorgetragen, werden millionenfach abgerufen. Warum es sich für Kommunikatoren lohnt, sich näher mit der schroffen Asphalt-Poesie zu beschäftigen.

21. Januar 2020

Instrumente, auf die Bands anderer Musikgenres bevorzugt zurückgreifen, spielen bei den Sprechsängern nahezu keine Rolle. Schöne Reime sind nicht obligatorisch. Dafür stehen die vertonten Wortfolgen selbst im Mittelpunkt. In den Videos zu den Songs gerne immer wieder klischeehaft dem US-amerikanischen Vorbild folgend in Trainingsanzug oder Kapuzenpullover gehüllt, sprechen erfolgreiche Stars wie Capital Bra oder RAF Camora buchstäblich ein breites (junges) Publikum an. Titel wie „Nur noch Gucci“, „One night stand“, „Zweistellige Haftstrafen“ oder „500 PS“ deuten meist leicht verständlich an, welche Geschichten sie für den Hörer jeweils im Gepäck haben.

Oder steckt mehr dahinter? Ohne Zweifel lösen Texte und einzelne Künstler dabei immer wieder Kontroversen aus. Grenzen des Anstandes und des guten Geschmacks werden nicht selten bewusst überschritten. Auch öffentlichkeitswirksam ausgetragene Auseinandersetzungen sind Teil der Vermarktung. Wo die Freiheit des Künstlers endet, daran scheiden sich fortlaufend die Geister.

Vorschlaghammer statt Zuckerguss für die Ohren?

Die Geschichten der selbsternannten Helden der Straße scheinen für viele offensichtlich spannender zu sein, als das was Künstler anderer Stilrichtungen heutzutage über die Verstärker jagen. Klassische Musik ist zwar uralt, doch in jedem Fall viel anspruchsvoller – mag man einwenden. Rockmusik punktet wiederum mit unglaublich schönen, melodischen Gitarrensolos. Und die facettenreichen Stimmen von unsterblichen Größen wie Elvis Presley, Celine Dion oder Whitney Houston lassen uns beim Zuhören dahinschmelzen. Ohne Zweifel finden ähnlich zuckersüße Balladen aktueller Interpreten auch heute ein breites Publikum.

Warum aber legen sich täglich noch viel mehr Nutzer lieber Melodien auf die Ohren, die statt auf Ästhetik ihr Augenmerk auf unverblümte Texte legen, die sprichwörtlich wie ein Vorschlaghammer auf die Membranen treffen?

Nun, ganz allgemein gesprochen sind Geschmäcker bekanntlich verschieden, wobei jede Zeit ihre eigenen Phänomene hervorbringt. Vielleicht befinden wir uns ja mitten im Zeitalter des Raps. Eine weitergehende Betrachtung überlasse ich an dieser Stelle einschlägigen Beobachtern der Musikszene. Getrieben von meiner berufsbedingten Neugier als Redakteur möchte ich jedoch ein Stück weit näher betrachten, wie Sido und Co. ihr Image, ihre Botschaften einsetzen, um ihre Kommunikationsziele zu erreichen. Lässt sich ihr Konzept einfach isolieren, kopieren und für die eigene Kommunikation nutzen?

Geländewagen, Goldkette, Geldbündel – und nichts dahinter?

Die Protagonisten der Rapsongs sind oft Außenseiter, die „wissen, wovon sie reden“. Ihre Wort-Salven suggerieren zunächst ein hohes Maß an Authentizität. Ihr direkter Stil ist hörbar nicht auf das Schließen von Kompromissen ausgelegt. Das macht Eindruck: So geradeheraus sagen, was er denkt, mag ja nicht jeder. Wiedererkennungswert hat hingegen die gerne verwendete Szenerie eines Helden, der sich auf eine schwierige Reise begibt, um einen schweren Konflikt zu lösen. Das ist das Wesen des heutigen Storytellings von Magazinen, wie es das auch schon Platon oder George Lucas mit seiner jüngst fortgeschriebenen Saga Star Wars auf die Bühne gebracht haben. In der Rolle des Ungeliebten, der sich gegen widrige Umstände durchgeboxt hat, fühlen sich vor allen Dingen die Vertreter des Gangster-Raps sichtlich wohl.

Oft unterfüttern die Künstlerbiografien und der Migrationshintergrund die Reise des Protagonisten in den Stücken mit realen Bezügen. Hinter glänzenden Geländewagen, Goldketten, Geldbündeln und aggressiven Worten versteckt sich demnach so manche bewegende (Überlebens-)Geschichte. Sie bewegt sich in vielen Fällen explizit zwischen Gewalt, Kriminalität und Betäubungsmitteln. Geschichten von Flucht und Neubeginn sind in der heutigen Zeit relevanter denn je. So bitter die Lieder klingen, so leichtverständlich und vergleichsweise schnörkellos sind sie vertont. Für die Komposition der Lieder reichen Basics: ein Mischpult, ein Mikrophon – und eine Botschaft. So erklommen die Idole eines vorwiegend jungen Publikums hierzulande ihren Platz im Mainstream der Musik-Welt.

“Komm’ mal zum Thema, Digga!”

Die Jugendsprache hat zahlreiche Wortschöpfungen von Rappern adaptiert: In Frankfurt ist der respektvoll „Bahn-Babo“ gerufene Peter Wirth eine bekannte Persönlichkeit, der jeden Tag hunderttausende Fahrgäste sicher an ihr Ziel bringt. Die Anrede „Digga“ oder „Brudi“, der ungeliebte „Lauch“, oder die Ausdrücke „flexen“ („posen“) und „stabil“ („super“) dürften dem einen oder anderen schon untergekommen sein. Rap sein Dank. Ferner rappt der Künstler Franz Liebl gar auf Bayrisch, während Schülergruppen aus Brandenburg Goethes Ballade Erlkönig als Sprechgesang präsentieren. Vielleicht ist es ja höchste Zeit, dass Sie sich auch einmal etwas Asphalt-Poesie „draufschaffen“? Denn bei näherer Betrachtung unterscheiden sich die Heldenreisen der Rapper gar nicht so sehr von den klassischen Vorbildern. Sogar die Ziele sind ähnlich (Reichtum, Liebe, Freundschaft) – alleine die Sprache ist direkter. Wäre das in der Kommunikation nicht auch oft wünschenswert, wenn auch nicht gar so explizit? Ohne große Umschweife auf den Punkt zu kommen, um Botschaften zu vermitteln, ist jedenfalls auch für unser Handwerk das A und O. Wenn wir also etwas von den Straßenjungs lernen können, dann das: Komm‘ mal zum Thema, Digga!

Florian Pahlke