Wer erinnert sich – ohne Wikipedia zu bemühen – an die Namen der Gründer von General Motors? Und wie hieß der Mann, der Toyota aus der Taufe gehoben hat? Wenn Sie mit den Achseln zucken oder nun doch schon heimlich googeln, keine Sorge: So geht es wohl den meisten. Den Namen Henry Ford haben wir dagegen sofort parat. Natürlich, der Mann, der die Fließbandproduktion im Autobau konsequent durchsetzte. Bekannt sind bis heute auch noch einige seiner Aphorismen, wie beispielsweise dieser: „Ich weiß, dass die Hälfte meiner Werbung hinausgeworfenes Geld ist. Ich weiß nur nicht, welche Hälfte.“ Eine humorvolle Bemerkung darüber, dass Werbung eben einen – wie wir heute so schön sagen – hohen Streuverlust hat.

21. April 2021

Gelegentlich wird Ford auch in verkürzter Form falsch zitiert und ihm somit angedichtet, er habe Werbung generell als Geldverschwendung angesehen. Keineswegs. Die Erfolgsquote einer Werbekampagne wurde allerdings damals etwas anders bemessen als heute. Die Devise lautete: Wenn nur möglichst viele Menschen eine Werbung sehen, wird sich auch einen Effekt zeigen. Marketing und PR, die wir zudem heute in diesem Zusammenhang aufführen und von klassischer Werbung abgrenzen würden, waren zu Fords Lebzeiten eher akademische Begriffe. Werbung war nötig, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und zu verkaufen. Dass es dabei mitunter hohe Streuverluste gab, wurde hingenommen. In heutigen Zeiten von Key Performance Indicators (KPI), Zielgruppenanalysen, Testmärkten, Conversions und Community-Management schlicht undenkbar. Spätestens seit Beginn der 50er Jahre scheint alle Welt auf der Suche nach der zweiten Hälfte des Werbebudgets, das Ford zufolge herausgeworfenes Geld ist. Das Ziel ist klar: Diesen Anteil so stark zu reduzieren wie nur möglich.

 

Kommunikativer Kennzahlenfetisch

In den 50er Jahren kam erstmal der Begriff Key Performance Indicators auf. Der Ökonom Peter Drucker prägte ihn in seinem 1954 erschienen Buch „The Practice of Management“. Verkürzt lässt sich seine Annahme folgendermaßen zusammenfassen: Nur was sich messen lässt, lässt sich auch managen. Eine umfassende These, die nicht nur Werbung, sondern auch Unternehmenskommunikation einschließt. Der Erfolg hat klare Vorgaben, und diese wiederum beinhalten eindeutig quantifizierbare Kennzahlen. Für die Kommunikation ließ sich der Erfolg lange Zeit vor allem in Form von Clippings messen – also die Anzahl von Ausschnitten mit Nennungen oder ganzen Artikeln über ein Unternehmen in gedruckten Medien. Für die PR-Branche galten sie lange als das Maß aller Dinge. Selbst als die Kommunikation digitaler wurde, trugen ausgedruckte Beweisaufnahmen aus dem Netz dazu bei, den liebgewonnenen Clipping-Berg zu mehren. Damit ist spätestens seit dem allumfassenden Boom der Sozialen Medien Schluss. An die Stelle des Papierbergs traten seither Kennzahlen. Bei aller Berechtigung und Sinnhaftigkeit gaukeln sie Unternehmen allerdings ein Stück weit vor, die von Ford so schön schelmisch beschriebenen „anderen“ 50 Prozent ließen sich unglaublich stark minimalisieren, ja geradezu marginalisieren.

 

Das ist aus zwei Gründen problematisch: Zum einen, weil diese Vorstellung schlicht unrealistisch ist. Und zum anderen, weil die Kennzahlen immer stärker zum bestimmenden Faktor werden – ganz gleich, ob das eigentliche Ziel Verkauf oder Imagepflege lautet. Aber der Reihe nach. Mit Zielgruppenanalysen, einer besonders eng gefassten „Target Audience“ und dem Versprechen auf unschlagbar hoch erscheinende Conversions verbindet sich bei Unternehmen immer öfter die Vorstellung, dass sich mit der richtigen Metrik alles erreichen lässt. Wenn die Agentur im Vorfeld nur genau genug plant, dann wird am Ende alles wunderbar. Wenn der SEO-Score Pirouetten schlägt, geht es automatisch ab in den Olymp der organischen Suchergebnisse auf Seite eins bei Google. Wenn die Followerschaft auf den sozialen Medien nur groß genug ist, dann erreicht das Unternehmen automatisch auch eine entsprechende Außenwirkung und die Folgenden jubeln ihm zu. Gerade aus der Sicht mittelständischer Unternehmen scheint alles möglich. Für sie habe ich ernüchternde Nachrichten.

 

Qualitative Inhalte sind entscheidend

Denn so einfach ist es nicht. Schauen Sie einmal auf die Beiträge von großen Unternehmen in den sozialen Medien. Nehmen wir beispielsweise die Lufthansa. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Blogbeitrag hat das Unternehmen mit dem Kranich im Logo mehr als 480.000 Follower auf LinkedIn. Und trotzdem haben die letzten drei Posts auf der Plattform zusammengenommen knapp 1.000 Likes und 50 Kommentare. Lassen Sie das doch einmal auf sich wirken, bevor wir von Conversions und KPIs sprechen. Und wenn Sie nun meinen, dass eine solche Bilanz dem durch die Pandemie etwas flügellahmen Unternehmen an sich geschuldet ist, blicken wir auf ein anderes. Elektromobilität ist das ganz große Ding. Volkswagen gibt hier richtig Gas – oder besser gesagt Strom. Dem Konzern folgen zum Zeitpunkt dieser Beitragsveröffentlichung mehr als 990.000 Menschen auf LinkedIn. Und die letzten drei Posts der Marke haben zusammengenommen rund 1.220 Menschen gelikt und 14 kommentiert. Und bei keinem der genannten Beispiele lässt sich von außen nachvollziehen, ob einer oder alle diese Beiträge vielleicht sogar durch Werbebudgets zeitweise gepusht wurden.

 

Der Kommunikationserfolg lässt sich also nicht so einfach und allein durch Messen, Zählen oder Wiegen bewerten. Er hängt nicht nur an Algorithmen und Metriken. Was vor allem zählt – und zwar gerade in Zeiten, in denen Inhalte massenweise ins Netz gespült werden und man sich kaum noch davor retten kann – sind qualitative Inhalte. Nicht so sehr die statistische Auswertung sollte im Vordergrund stehen, sondern die strategische Überlegung im Vorfeld. Was und wen wollen (und können) Sie wie und wo erreichen? Henry Fords berühmter Satz über die Streuverluste gilt dabei nach wie vor. Ob es nun 50 Prozent sind oder 40 oder vielleicht auch nur 30: In keinem Fall werden Sie das Budget für Kommunikation oder Werbung so präzise steuern, dass der Anteil an „hinausgeworfenem Geld“ marginal wird. Auch nicht in den sozialen Medien. Im Gegenteil: wo früher eine Zeitung irgendwann auch mal voll war und kein Platz für Anzeigen mehr hergab, gaukeln soziale Medien unendlich viel Platz gegen Bezahlung vor. Tatsächlich ist die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Rezipienten allerdings um ein Vielfaches höher als in den analogen Tagen eines Henry Ford.

 

Streuverluste sind unvermeidbar

Das heißt nun keineswegs, dass Kennzahlen in PR und Marketing nicht ihre Berechtigung haben. Im Gegenteil. Es ist allerdings wichtig, ihren Stellenwert zu kennen. Sie geben – immer relativ, nie absolut betrachtet – wichtige Hinweise, was man besser machen kann. Aber die Hatz nach möglichst eng gefassten Zielgruppen und ultrahohen Conversions sollte nie zum eigentlichen Ziel der Kommunikation werden. Oder gar darüber hinwegtäuschen, dass eines immer bleiben wird: Streuverluste.