Was wir heute Storytelling nennen, ist eigentlich eine sehr alte Form der Geschichtenerzählung. Schon in Homers Odyssee kommen alle wesentlichen Merkmale dessen vor, was wir noch heute als schlüssige und spannende Erzählstruktur ansehen. Aber es ist natürlich auch eine reichhaltige Geschichte mit so einigen Irrungen, Wirrungen und vor allem Wiederholungen. Letztere sind der Tatsache geschuldet, dass die Story ursprünglich nur mündlich weitergegeben wurde. Wiederholungen und Reimform halfen dabei, die Handlung auswendig zu lernen und korrekt zu rezitieren. Aber was hat das mit heutigem Storytelling in der Unternehmenskommunikation zu tun, welche modernen Analogien gibt es und was können wir daraus lernen?

06. Oktober 2020

Das erste, was Sie über Storytelling überall lesen werden: Es braucht einen Helden, einen Konflikt und eine Lösung. Das klingt einleuchtend, aber die Krux liegt in der Ausführung. Hier zeigt sich gelegentlich, wie unterschiedlich diese scheinbar eindeutigen Begriffe ausgelegt werden können.

Die Helden

Die Helden in der Unternehmenskommunikation sind meist einzelne Akteure in der Firma, gelegentlich auch Teams. Schwach wird eine Geschichte immer dann, wenn ein Unternehmen sich nicht dazu hinreißen lassen kann, einen Helden für eine Geschichte zu benennen – aber auch dann, wenn es zu viele werden. Manchmal beginnen Briefings über einen Beitrag mit der Zustimmung, dass ein Kollege für ein Thema zur Sprache kommt und dabei diese oder jene Botschaft vermittelt wird. Dann beginnt es bereits in der Recherche schwammig zu werden: Der Protagonist fühlt sich nicht wirklich wohl in seiner Rolle. Er zieht Kollegen hinzu, in der Abstimmung wollen auch Vorgesetzte noch erwähnt werden. Dann ist die Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen auch noch wichtig und so weiter. Kurz: Der Held zerfasert, wird blass, seine eigentlichen Leistungen treten in den Hintergrund zugunsten einer immer amorpher werdenden Konstellation von Menschen, die alle Helden sein wollen, aber gar nicht viel Heldenhaftes beizutragen haben.

Schon Homer wusste: Eine gute Geschichte kann mehrere Figuren haben und von mehreren Ereignissen erzählen. Aber sie braucht immer einen Helden, der sie erfahrbar und nachvollziehbar macht. Das gilt auch für das Storytelling in der Unternehmenskommunikation: Lieber auf eine oder einige wenige Protagonisten setzen als allzu viel zu wollen. Die Konzentration auf eine Selektion von Mitarbeitern ist ja keine Absage oder Ausblendung aller anderen. Sie können zu gegebener Zeit ebenfalls ihre Geschichte erzählen und erhalten dafür ihre eigene Bühne.

Der Konflikt

Keine Geschichte ohne Konflikt. Er sorgt für die nötige Spannung und ermöglicht es erst, die spätere Lösung wertzuschätzen. In der Unternehmenskommunikation, anders als in vielen Stellen der Odyssee, geht es dabei nicht um Leben und Tod. Aber es geht durchaus um Fehler. Sie wissen schon, diese eine Sache, die niemand gerne macht und die niemand gerne zugibt. Odysseus gewährt beispielsweise immer wieder Einblicke in seine Entscheidungen und wie er diese rückblickend bewertet. In der Unternehmenskommunikation erfordert es großen Mut, darüber offen zu sprechen. Selbst in einer Zeit, in der die vielbeschworene Fehlerkultur allgegenwärtig ist, ist Scheitern noch immer etwas Schlechtes.

Gerade mittelständische Unternehmen tun sich an dieser Stelle schwer damit, Konflikte irgendeiner Art überhaupt zu kommunizieren. Aber der Konflikt, ob klein oder groß, hilft beim Aufbau des nötigen Spannungsbogens. Das kann auch eine Erwartungshaltung sein, die der Leser aufgrund eines gewissen Themas mitbringt und die sich dann nicht erfüllt. Oder auch eine Herausforderung, die es zu bewältigen galt – und die dann gemeistert wurde. Wer den Konflikt außer Acht lässt, nimmt damit seiner Geschichte die spannendste Facette.

Die Lösung

Ende gut, alles gut. Diese Losung gilt auch im Storytelling. Das Ende ist in den allermeisten Fällen geradezu zwangsläufig gut, wie oben schon beschrieben. Vor allem aber sollte die Auflösung klar verständlich sein und keine weiteren Fragen aufwerfen. Als ein Beispiel aus der Filmwelt, dem das jüngst weniger gut gelungen ist, mag der letzte Star-Wars-Teil herhalten. Von Anfang an storymäßig überladen, weil zu viele Geschichten gleichzeitig in kurzer Zeit erzählt werden, bringt das Ende alle Fäden zwar irgendwie zusammen, wirft aber neue Fragen auf. Und diese wurden vorher nicht thematisiert und werden freilich hinterher nicht mehr erklärt. Schade eigentlich.

Die Auflösung sollte der Geschichte in der Unternehmenskommunikation ihre Relevanz geben. Am Ende haben Leser, Zuschauer oder Zuhörer ein Aha-Erlebnis. Je größer der Erkenntnisgewinn, desto besser. Hier kristallisieren Sie eindeutig die Botschaft heraus, die die Erzählung vermitteln soll und die bisher schon – aber bitte nicht allzu plakativ – in der Geschichte durchschimmerte. Held oder Heldin sind am Ende ihrer Reise angekommen. Es muss keine epische Odyssee sein, aber in Erinnerung bleiben sollte sie schon. Denn idealerweise wird die Geschichte weitergegeben – wenn auch heutzutage eher weniger von Barden als vielmehr in den sozialen Medien.