Denke ich heute an meine Zeit an der Universität zurück, sind viele Dinge und Geschehnisse wie mit einem Schleier verdeckt. Wissen ist in Schubladen abgelegt, die die graue Theorie abgeschlossen und den Schlüssel dann versteckt hat. Wie heißt es so schön: „Vieles brauchst du später im echten Leben eh nicht mehr.“ Es gibt aber Begebenheiten und Themen, die lassen sich nicht so einfach einsperren. Weil sie zum Beispiel eine Lebenshaltung prägen.

05. Mai 2020

Oder jetzt ganz aktuell jede und jeden von uns betreffen: Nicht mehr einfach dort hingehen, wohin man möchte. Nicht arbeiten dürfen. Freiheit der Person. Langsam können wir SARS-CoV-2 nicht mehr ertragen. Um was es hier geht? Die Grundrechte, die jede und jeden Einzelnen von uns vor Eingriffen des Staates schützen sollen. Okay ich oute mich: Jurastudenten begegnen sie spätestens im zweiten Semester im Öffentlichen Recht. Prüfungsgegenstand in Klausuren – und wäre es eine Wette, wäre die Quote mies – ist da meistens die Verfassungsbeschwerde. In den Sachverhalten, die man dort für das Gutachten prüfen muss, geht es um dicke Dinger: Berufsfreiheit, Religionsfreiheit, Eigentumsfreiheit, Gleichheitsrechte. Und wenn alles nichts hilft, die Menschenwürde. Die Frage ist immer: Hat die Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg? Der Prüfling muss dann beweisen, ob er den juristischen Gutachtensstil beherrscht. Und ob er die Mechanismen von Grundrechten, deren Beschränkung durch Gesetze (aktuell Infektionsschutz-Gesetz) und die Geheimwaffe Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (sogenannte Schranken-Schranke) verstanden hat.

Artikel 5 GG – ein Klassiker

Wenn ich dann von „Lebenshaltung prägen“ spreche, denke ich besonders an Artikel 5 im deutschen Grundgesetz, im Speziellen in meiner Rolle als Autor, Journalist und Kommunikator. Vor allem Juristen und Journalisten wissen, was in dessen drei Absätzen alles drinsteckt und wie hart darum gestritten wurde – und immer noch wird. Die Rundfunkurteile des Bundesverfassungsgerichts haben das Fundament unseres dualen Rundfunksystems erst zementiert. Wer eine maßgebliche Richtschnur für die Abgrenzung von Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung sucht, kommt an den Urteilen „Franz Josef Strauß“ oder „Caroline von Monaco“ nicht vorbei. Und da ist eben auch die Pressefreiheit. Hier darf es keine Zensur geben. Sie dient – auch in der Gesamtschau mit den anderen Grundrechten des Artikels – der demokratischen Willensbildung und der Kontrolle der Politik durch die öffentliche Meinung. Sie gehört also zu den Säulen unserer Demokratie.

Gerade auch in Zeiten von Corona, die uns allen Einschränkungen auferlegt. Und nicht nur bei uns in Deutschland. Die internationale Gemeinschaft feiert mit vielen Aktionen immer am 3. Mai den Internationalen Tag der Pressefreiheit. Von der UNESCO initiiert und von der UN-Generalversammlung 1994 ausgerufen, hat der Tag eine Botschaft: Jede Journalistin und jeder Journalist hat überall auf der Welt das Recht, frei und ohne Angst zu berichten.

Keine Selbstverständlichkeit

Wir müssen uns immer wieder vor Augen führen, dass man hierfür einstehen muss. Mal ganz abgesehen davon, ob man jetzt Journalist ist oder nicht. Meinungen müssen gesagt werden dürfen. Das Aberwitzige ist für mich daran gerade, dass man sich das in der wohlbehüteten Couch-Schäfchenwolken-Schutzatmosphäre, in der man hier in Deutschland lebt, gar nicht vorstellen kann: „Wie? Meinung nicht sagen? Ich habe doch gerade was getwittert. Und der Meyer von oben drüber, der schreibt immer fleißig Kommentare im Social Web zum TV-Politiktalk. Und die Anke geht jeden Freitag mit ihrer Tochter Tabea-Lucia zu Fridays for Future.“ Das ist ja auch alles gut. Der 3. Mai muss uns nur dran erinnern, dass das in vielen Ländern der Erde nicht so ist. Auch leider nicht weit weg von uns. Reporter ohne Grenzen ist hier ein anerkannter Gradmesser. Die Organisation hat aktuell wieder ein Ranking erstellt, wie es weltweit mit der Situation der Journalisten aussieht. Schauen Sie mal drauf und erschaudern Sie. Ich für meinen Teil kann viele Dinge, die ich da lese, nicht fassen. Lassen Sie uns gemeinsam die Fahnen der Pressefreiheit schwenken. Oder vielleicht nicht so theatralisch: Lassen Sie uns gemeinsam sensibel dafür sein, welch hohes Gut Meinung und wie wertvoll es ist, sie nicht nur zu haben, sondern auch äußern zu dürfen.