„Der Glaube an das Homeoffice sei der „größte Management-Fehler des Jahres 2020“, schreibt Thomas Knüwer, Gründer der Digitalberatung kpunktnull, in seinem Blog. Auf jeden Fall ist für die meisten Unternehmen jetzt die Zeit gekommen, die Erfahrungen der letzten Monate zu betrachten. Welche Chancen, aber auch Risiken und Pflichten sind mit häufigem Homeoffice verbunden? Nicht immer liegt die Antwort in der Mitte.

01. September 2020

Unstrittig ist, dass Homeoffice DER Business-Trend des Jahres 2020 ist. Doch er ergab sich ganz anders als sonstige Trends. Denn während sich Trends sonst aus der allmählichen und oft unbewussten Erkenntnis entwickeln, dass sie einen bestimmten Vorteil und Nutzen bieten, gab es diesmal schlichtweg keine Wahl. Von jetzt auf gleich mussten Firmen weltweit aufgrund der Corona-Pandemie Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nachhause schicken. In Wohn- und Arbeitszimmern, selbst in Küchen und Schlafzimmern flimmerten die Bildschirme und klickten die Mäuse. Und auch die Geschäftsführer und Manager, die vorher skeptisch waren, sahen: Es geht, es geht sogar sehr gut!

Was gut ist, muss es nicht bleiben

Doch dieses „sehr gut“ ergab sich relativ, im Vergleich zu den Befürchtungen, die sich nicht bestätigten. Wie sieht es aber aus im Vergleich zum Arbeiten mit persönlichem Kontakt? Zum kreativen Austausch innerhalb von Teams? Zur schnellen Klärung offener Fragen im Vorbeigehen? Erst allmählich wird klar, dass mit dem Homeoffice auch ein Teil des sozialen und fachlichen Miteinanders auf der Strecke bleibt. Und es stellt sich eine entscheidende Frage: Wie wichtig ist dieser Teil, damit Mitarbeiter ihre Leistung erbringen und Teams funktionieren können – und zwar langfristig?

Homeoffice ist billiger? Schau‘n wir mal!

Schauen wir zunächst auf die Datenlage zur aktuellen Situation: Laut einer Studie der Krankenkasse DAK vom Juli 2020 geben über die Hälfte der über 2.000 befragten Angestellten an, lieber zuhause zu arbeiten. Auch die Arbeitnehmer machen die Erfahrung, dass ihre Mitarbeiter zuhause nicht nur genauso gut arbeiten, sondern sogar produktiver werden. Bereits im Jahr 2018 kam eine Studie der Stanford-Universität ebenfalls zu diesem Ergebnis. Für die Unternehmensführung verheißt dieser Effekt natürlich Kostenreduktionen: Sie bekommen eine höhere Leistung und müssen weniger Bürofläche finanzieren.

Doch gleichzeitig zeigen sich Risiken, die sich erst im Laufe der Zeit deutlich auswirken dürften. Dazu zählen vor allem gesundheitliche Probleme. So gibt es in den wenigsten Privatwohnungen und -häusern einen ergonomischen Arbeitsplatz. Um diesen einzurichten, müssten Unternehmen also investieren. Doch es gibt auch Mitarbeiterinnen, die in Wohnungen leben, wo dies gar nicht möglich ist. Das heißt, viele Menschen werden monate- oder jahrelang an einem ungeeigneten Arbeitsplatz sitzen. Rückenprobleme sind vorprogrammiert.

Psychische Bedürfnisse bleiben außen vor

Hinzu kommt, dass es für uns Menschen unverzichtbar ist, andere zu treffen und uns persönlich auszutauschen. Das ist online zwar auch möglich, aber nicht vergleichbar. Und dieser Punkt macht sich auf zwei Ebenen bemerkbar: Zum einen ist es möglich, dass die Mitarbeiter langfristig psychische Beeinträchtigungen spüren. Laut der DAK-Studie fehlt bereits jetzt drei Viertel der Befragten der direkte Kontakt zu den Kollegen. Ein paar nette Worte auf dem Gang oder der Austausch von mehr oder minder wichtigen „Firmengeheimnissen“ in der Kaffeepause sind nicht möglich.

Zum anderen können auch die fachlich-inhaltliche Abstimmung sowie Kreativität und Innovationskraft leiden. Gerade die Dynamik bei kreativen Teamprozessen lässt sich online nur schwer abbilden. Wo bleibt der „Teamspirit? Auch Konflikte lassen sich schwieriger klären, weil Stimmungen und die wichtigen Informationen „zwischen den Zeilen“ am Bildschirm schwer ablesbar sind.

Fast jeder Zweite vermisst zudem die klare Trennung zwischen Job und Privatleben. Gerade Mütter und Väter fühlen sich zwischen Arbeit und Kinderbetreuung hin- und hergerissen, was zu teils massivem Stress führt. Sollten die genannten Szenarien eintreffen, würden Unternehmen langfristig viel Geld verlieren.

Selbstverantwortung zahlt sich aus

Das Heimbüro wird also nur ein Erfolg bleiben, wenn die Voraussetzungen dafür stimmen. Dabei ist es auch interessant zu betrachten, wodurch die positiven Effekte im Homeoffice zustande kommen. Warum also sind Mitarbeiter zuhause besonders produktiv? Natürlich sparen sie Zeit und Energie, weil sie nicht zur Arbeit fahren. Doch in der DAK-Analyse nennen 65 Prozent der Befragten als großen Vorteil, dass sie ihre Zeit frei einteilen können. Provokativ formuliert: Sie sind produktiver, weil sie niemand bevormundet. Führungskräfte sollten daraus lernen und auch die Arbeit im Büro möglichst wenig überwachen oder „stören“. Gleichzeitig erstaunt es, wie gut Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter offenbar einschätzen können, wann sie wo arbeiten sollten. Als sie dies in der Stanford-Studie frei entscheiden konnten, stieg ihre Perfomance um satte 50 Prozent. Damit das langfristig so bleibt, müssen Unternehmen ihr Personal aber dabei unterstützen, zuhause einen ergonomischen Arbeitspatz einzurichten. Gemeinsam mit der Wahlmöglichkeit des Arbeitsorts profitieren dann beiden Seiten gleichermaßen.