Wenn man jung ist – schon beim Schreiben dieser Zeile komme ich mir ungemein alt vor – hat man viele Ideen. Ein paar dumme, ein paar phantastische und die ein oder andere praktisch anwendbare ist auch dabei. Oft genug rennt man mit allen gleichermaßen ins Leere. Denn es gibt immer mindestens einen, der es besser weiß. Mal aus Erfahrung – das lässt sich schnell einsehen. Und manchmal allein aus einer patriarchalischen Haltung heraus. Getreu dem Motto: „Wenn ich Ihre Meinung hören will, erkläre ich sie Ihnen vorher.“ Und dagegen war ich immer schon allergisch. Zumal dieser Typus Mensch, nicht selten Entscheider, spätestens im Arbeitsleben zum Motivationskiller wird und der Firma am Ende schadet.

 

10. März 2020
Schrankenlos denken

Aber mal langsam. Ich erinnere mich an eine Zeit, in der ich zusammen mit einem Freund die Welt – freilich erstmal auf kommunaler Ebene – retten wollte. Wir waren politisch engagiert und hatten eine Idee. Sie betraf die Verkehrsführung an einem Bahnübergang in unserer Heimatstadt, die durch die Gleise praktisch zweigeteilt war. Kurz nachdem wir den Führerschein und unsere ersten Autos hatten, gehörten wir an der besagten Stelle zu den Nutznießern einer seit Jahrzehnten veralteten Verkehrsführung. Das nervte uns schnell so sehr, dass wir uns zusammensetzten und überlegten, wie man den Verkehr nach der Schrankenöffnung schneller abfließen lassen könnte. Die Idee war gar nicht mal blöd, wie wir fanden.

Darum reichten wir sie vertrauensvoll an die Stadtparlamentarier weiter – und ernteten ein mitleidiges Lächeln. Das Problem und die Idee spielten in dem Moment keine Rolle. Stattdessen auf der einen Seite ältere Herrschaften, die alles schon immer auf eine bestimmte Weise gemacht hatten. Und auf der anderen Seite zwei Grünschnäbel. Kurzum: Wir hatten nicht den Eindruck, dass man uns ernst nahm. Und so zogen wir weiter, dachten nicht mehr an diese Idee, bis wir – etwa ein halbes Jahr später – wieder an der Bahnschranke warteten und uns plötzlich auffiel: Hier hat sich ja etwas getan! Und zwar genau das, was wir vorgeschlagen hatten. Wie sich herausstellen sollte, war die Idee gar nicht so dumm. Sie kam eben nur von zwei Grünschnäbeln. Aber kaum hatte sie sich einer der älteren Herrschaften zu eigen gemacht, kam Bewegung in die Sache.

Richtige Idee, falscher Ideengeber

Meine Lehre aus der Aktion: Wenn es um die Sache geht, ist es ja schön, dass sich die Idee durchgesetzt hat. Schade trotzdem, dass sich jemand anders mit den Federn dafür schmückte. Das stieß uns in der Folge sauer auf und wir stellten unser Engagement wieder ein. Denn Ideenklau schafft weder Vertrauen, noch wirkt er besonders motivierend. Ähnliche Erlebnisse hatte ich im Arbeitsleben seither einige Male. Gute Ideen, so schien mir, müssen eine Hierarchie befolgen. Oben auf der Leiter steht ganz grundsätzlich die Chef-Idee. Eingebungen, die auf dieser Ebene stattfinden, haben etwas Schamanisches. Wer hinterfragt, ob das wirklich zielführend ist, wird bestenfalls belächelt oder als Zweifler abgestempelt. Ideen aus der Riege der Mitarbeiter werden im besten Fall angehört und bewertet, nicht selten aber auch überhört. Und so manches Mal hatte ich ein Déjà-vu, wenn dann ein paar Wochen später eine Idee in einem Meeting präsentiert wurde, die mir stark bekannt vorkam. Richtige Idee, falscher Ideengeber.

Vom betrieblichen Vorschlagwesen zum Ideenmanagement

Dabei brauchen gute Ideen gar keine Hierarchie. Wer sagt denn, dass der Chef nicht genauso eine Schnapsidee haben kann wie seine Mitarbeiter? Es sollte keine Rolle spielen, von wem die Idee kommt. Viel wichtiger ist doch, dass es ein Klima gibt, in dem diese überhaupt entstehen und geäußert werden können. Und dass es ein Vorgehen gibt, um sie anschließend zu prüfen und zu bewerten. Wenn am Ende der oder die Ideenstifterin zumindest erwähnt oder – weil sich die Idee für das Unternehmen womöglich bezahlt gemacht hat – sogar pekuniär gelobt wird, wirkt das umso förderlicher.

Keine neue Erkenntnis übrigens. Nicht nur, weil sie im wunderbaren Wort des „betrieblichen Vorschlagwesens“ bereits Einzug in viele Unternehmen gehalten hat. Sondern weil sie tatsächlich so alt ist, dass Gussstahlfabrikant Alfred Krupp sie 1872 als Geheimnis seines Erfolges in sein Buch „Generalregulativ“ aufnahm. Anregungen und Verbesserungen aller (!) Mitarbeiter seien demnach dankbar (!) entgegenzunehmen. Nicht etwa aus Höflichkeit oder aus der Überzeugung, dass Mitarbeiterbeteiligung etwas Notwendiges und Sinnvolles ist. Das Gegenteil war nach seiner Meinung der Fall. Sondern weil er erkannt hatte, dass diejenigen, die sich täglich mit bestimmten Prozessen und Maschinen beschäftigten, durchaus hervorragend dazu in der Lage waren, diese zu optimieren. Und die gesteigerte Produktivität zahlte sich für Krupp aus.

Auf die Idee kommt es an, nicht auf die Position

Nun habe ich meine Erfahrungen allerdings im 21. Jahrhundert gemacht. In einer Zeit also, in der diese Erkenntnis nun wirklich ein alter Hut sein sollte. Aber nach wie vor spielen persönliche Eitelkeiten in manchen Unternehmen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Da ist die Herkunft einer Idee mitunter mindestens so wichtig wie deren Potenzial. Warum eigentlich? Besser ist es, auf ein kontinuierliches Ideenmanagement zu setzen. Und das nicht etwa in Form eines Briefkästchens, in dem Mitarbeiter Zettelchen mit Vorschlägen einwerfen können. Sondern in regelmäßigen Meetings, in denen es keine Denkverbote gibt. Meetings, in denen alle Beteiligten auf Augenhöhe miteinander sprechen und in denen sie – unabhängig von ihrer Position – einmal in die Rolle des Kollegen am Fließband oder des Kunden daheim schlüpfen und in diesem Sinne überlegen, wie ein Produkt oder ein Prozess besser werden kann.

Verabschieden Sie sich von der Weisheit einer Chef-Idee und öffnen Sie sich auch für Vorschläge von Grünschnäbeln. Und wenn am Ende dann noch etwas Lob oder gar eine Prämie für besonders gute Vorschläge drin ist, werden Sie sehen, wie schnell die Zahl von eingereichten Ideen nach oben schnellt.