Immer, wenn meine Großmutter mir etwas Geld zusteckte, tat sie das betont heimlich. Ganz klein gefaltet und in der Hand flachgedrückt, wechselte der Geldschein den Besitzer, als würde er zu Staub zerfallen, sobald auch nur ein Lichtstrahl darauf fällt. „Nimm das mal. Wenn du nichts hast, kannst du auch nichts ausgeben.“ Eine ganz einfache Weisheit, die mir sofort einleuchtete. Wie viele Memes zeigen, bin ich mit der Erinnerung an derlei pekuniäre Zuwendung und großelterliche Konsumempfehlung nicht allein. Ob auch John Maynard Keynes‘ Großmutter ihm in seiner Jugend heimlich Geld zugesteckt hat, ist nicht überliefert. Der britische Ökonom kam jedenfalls zu einem anderen Schluss, was das Geldausgeben angeht – und hat damit auch die Marketingwelt beeinflusst.

26. Januar 2022

John Maynard Keynes gehört ohne Frage zu den einflussreichsten Denkern des 20. Jahrhunderts. Und das womöglich, weil er vielleicht damals seiner Großmutter widersprach, als sie sagte, dass man nicht ausgeben kann, was man nicht hat. Ja, ich weiß, eine steile Hypothese. Jedenfalls stellte er – freilich in seinen 40ern – die These auf, dass ein Staat durchaus genau dann Geld ausgeben könne und solle, wenn die Zeichen eigentlich aus Sparkurs stünden. Das Ziel: Den Nachfragemangel beheben. Ein Grundprinzip, das nicht nur auf makroökonomischer Ebene seither viel diskutiert wird. Makroökonomie – die Analyse gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge klingt damit gleich so schön bedeutungsschwer, als sei sie Gegenstand einer physikalischen Untersuchung. Jedenfalls ist die von ihm angedachte antizyklische Einwirkung auf den Markt – oder zumindest der Versuch derselben – auch für Kommunikation und Marketing relevant.

 

Marketing und Kommunikation gerade in der Krise stärken

Da erzähle ich Ihnen sicherlich nichts Neues, wenn Sie in der Kommunikation oder im Marketing arbeiten: Der Rotstift wird in diesen Bereichen tendenziell zuerst angesetzt, wenn die Einnahmen sinken. An dieser Stellschraube, so ist noch immer die Auffassung zahlreicher Unternehmen – übrigens nicht nur im Mittelstand – lässt sich am einfachsten drehen, ohne dass es das Unternehmen schmerzt. Aber ist das tatsächlich so? Sicher, kurzzeitig schafft ein Unternehmen sich so eine gewissen finanzielle Entlastung. Die eigentliche Frage ist aber, ob Kommunikation und Marketing als bloße Kostenverursacher verstanden werden, die man sich eben leistet, weil man es kann. Oder ob diese Bereiche vielmehr als wichtig für den Unternehmenserfolg verstanden werden. Je nach dem, wie diese Antwort ausfällt, fallen die Budgetkürzungen aus.

Aber es gibt Beispiele dafür, wie Unternehmen in schweren Zeiten durch die Investition in Kommunikation und Marketing ihre Marktposition verbessern konnten. Als Seifenhersteller Dove sich beispielsweise vor einigen Jahren einem Umsatzrückgang gegenübersah, änderte das Unternehmen seine Kommunikationsstrategie: Statt nur an Frauen richtete sich Dove damals plötzlich auch explizit an Männer und betonte besonders die Feuchtigkeitsspendende Wirkung seiner Produkte. Ein weiteres Beispiel ist die Marke Old Spice, die lange Zeit als altbackener Duft für Männer in der Frühpensionierungsphase ihres Lebens galt. Mit neuen Produkten und einer geänderten Marketing- und Kommunikationsarbeit gelang es der traditionsreichen Marke, ein junges Publikum anzusprechen.

 

Langfristige Sichtbarkeitsverluste vermeiden

Es scheint einleuchtend: Wer dann Geld investiert, wenn andere zögern, hat bessere Chancen, damit mehr bewirken zu können – alles eine Frage der Sichtbarkeit. Die Frage ist weniger, ob sich Unternehmen das in einer Krisenzeit leisten können, sondern eher, ob sie sich leisten können, durch kurzfristige Sparmaßnahmen langfristig ihre Marke zu beschädigen. Vor diesem Risiko warnt eine Untersuchung von Millward Brown mit dem Titel „Marketing in Uncertain Times.“ Dort heißt es: „Zwar scheinen Marken, die kurzzeitig von der Bildfläche verschwinden, keine größeren Veränderungen in der Markenwahrnehmung zu erleiden, doch verschlechtern sich 60 Prozent von ihnen in mindestens einem wichtigen Aspekt. Solche Verluste können Probleme für die Zukunft bedeuten. Denn wenn sie einmal eingetreten sind, lassen sie sich nur schwer wieder rückgängig machen.“ Konkret gesagt macht ein Unternehmen durch kommunikative Zurückhaltung Raum frei für Mitbewerber, die das so entstandene Marketingvakuum nutzen können – und damit Kunden von sich und ihren Leistungen oder Produkten überzeugen.

 

Antizyklisches Marketing als Chance

Antizyklisches Marketing ist darum für viele Experten das Gebot der Stunde: Gerade dann, wenn ein Unternehmen einen Umsatzrückgang erlebt, schlägt die Stunde für eine strategisch ausgerichtete Kommunikation, die darauf zielt, den Absatz anzukurbeln und das Bewusstsein für eine Marke bei der Zielgruppe zu erhöhen. Man könnte auch von einem Marketing-Überholmanöver sprechen – und würde mit dem Wort „Manöver“ genau dem Ausdruck verleihen, was viele Unternehmen davor zurückschrecken lässt. Denn so ein Überholmanöver muss nicht zwingend funktionieren. Vielleicht hat man sich verschätzt, die eigene Maschine hat nicht genug Pferdestärken und dann heißt es nach einem kurzen Ausflug auf die linke Spur doch wieder rechts blinken und brav einordnen. Und ohne Frage fällt es gerade in einer Krisenzeit schwer, Geld für etwas so scheinbar Unsicheres und Diffuses wie Kommunikation auszugeben. Es geht ja auch nicht unbedingt darum, ein Budget plötzlich zu verdoppeln – womöglich reicht es schon, ein vorhandenes Budget einfach nicht zu kürzen und stattdessen über die Ausrichtung der Kommunikationsmaßnahmen nachzudenken. Eines jedenfalls scheint auf lange Sicht keine gute Option zu sein: In diesen Situationen auf den Ratschlag seiner Großmutter zu hören.