Covid-19 lässt uns keine andere Wahl: Wenn wir Veranstaltungen abhalten oder besuchen wollen, bleibt uns statt der Messehalle nur die Option des digitalen Raums. Das Gute daran? Reisezeiten und -kosten werden auf Null gesetzt, die Umwelt freut sich auch über weniger Verkehr auf den Straßen, die Couch ist ein relativ bequemer Veranstaltungsort und Hosen sind nur optional. Der letztgenannte Punkt wurde tatsächlich auf einer kürzlich stattfindenden digitalen Veranstaltung geäußert. Trotz aller Vorteile wird aber den meisten schon beim Besuch der ersten virtuellen Messe, Konferenz oder Tagung klar: Irgendetwas fehlt.

03. November 2020
Ein Abschied für die Ewigkeit?

Rein in die Bahn, ab zum Hotel, schnell das Outfit gewechselt, Ticket umgehängt und schon geht’s in das Getümmel. Man sieht alte Bekannte, trifft neue Gesichter, quatscht über dieses und jenes – vom Geburtstag der Tante bis zur Künstlichen Intelligenz – hört sich Vorträge an, diskutiert und genießt zwischendurch mehr oder weniger leckeres Essen im Stehen, da für mehr die Zeit fehlt. Wenn ich darüber nachdenke, erscheint dieses Szenario wie aus der Zeit gefallen. Corona kam – und die Welt wurde digital. Mittlerweile habe ich mich so an mein Arbeitszimmer gewöhnt, dass ich gar nicht mehr genau weiß, ob mich die Durchsage „geänderte Wagenreihung“ auf dem Weg zum Veranstaltungsort mittlerweile nicht komplett aus der Fassung bringen würde. Man ist es ja einfach nicht mehr gewohnt, zu verreisen. Da uns diese Situation sicher noch eine Weile begleiten wird, habe ich mich gefragt, ob digitale Veranstaltungen wohl der neue Big Deal der Zukunft sind.

Alles gleich, aber anders

Digitale Veranstaltungen haben was: Statt rein in die Bahn heißt es jetzt: aufstehen. Statt ab ins Hotel: ab ins Arbeitszimmer. Statt Outfit wechseln, naja – vom Pyjama immerhin in die Jogginghose. Aus dem Kramen des Tickets aus der Tasche wird das Eingeben von Zugangsdaten. Das Getümmel danach? Das bleibt aus. An sich nichts Schlechtes. Weniger stressig ist es auf jeden Fall. Interessante Vorträge sind auch interessant, wenn sie digital abgehalten werden. Eloquente Menschen mit Fachkenntnis bleiben auch im digitalen Raum ebendiese. Der fachlichen Qualität der Veranstaltung tut ein Umzug ins Internet keinen Abbruch. Vorausgesetzt die Technik funktioniert. Aber wieso ist es dennoch nicht dasselbe Erlebnis, ob ich in einem Vortragsraum sitze und lausche oder auf der Couch?

Mehr als die Summe seiner Vorträge

Eine Veranstaltung besteht eben nicht nur aus fachlicher Bereicherung in Form von Vorträgen, Interviews oder Podiumsdiskussionen. Sondern aus einem ganz elementaren Teil, der sich nur sehr schwer ins Digitale übertragen lässt: Das Zwischenmenschliche ist der Kit, der aus dem „Dabei“ ein „Mittendrin“ macht. Kurze Gespräche an der Kaffeemaschine. Nette Worte am Spiegel in der Damentoilette. Jemand hält die Tür auf oder blockiert den Aufzug, damit man noch mitfahren kann. Diese Begegnungen machen eine Veranstaltung vielleicht nicht qualitativ hochwertiger. Sie geben aber jedem Teilnehmenden das Gefühl, nicht einfach nur zuzuhören, sondern mittendrin zu sein. Sie verdeutlichen, dem Alltag entflohen zu sein. Denn andere Menschen zu sehen, bedeutet ja, dass ich mein Arbeitszimmer verlassen haben muss. Anstatt noch kurz zwischen zwei Vorträgen die Mails zu checken und zu prüfen, ob das Büro ohne meine Anwesenheit schon in Flammen aufgegangen ist, spricht man kurz mit einer unbekannten Person auf dem Gang. Danach kennt man sich. Das hilft, sich als vollkommen teilnehmend wahrzunehmen und nicht als zufälliger digitaler Passant.

Kein Abschied für die Ewigkeit!

Diese Unterschiede in der emotionalen Tiefe, mit der ich einer Veranstaltung begegne, sind es, die mich glauben lassen: Digitale Veranstaltungen können analoge niemals ersetzen. Sie sind zwar aktuell notwendig und auch an sich keine schlechte Sache. Viele sind wunderbar vorbereitet, durchgeführt und bieten spannende neue Erkenntnisse. Aber eine Veranstaltung ist – wie gesagt – mehr als die Summe ihrer Inhalte. Sie ist auch eine Verbindung von Personen, die sich eben durch Augenkontakt besser herstellen lässt als durch ein WIFI-Symbol.