Wir haben einfach keine Zeit mehr. Was nicht gefällt, wird unter- oder abgebrochen. Das gilt auch in Unterhaltungen. Da stellen sich für mich zwei wichtige Fragen: Wie lässt sich dieser Unterbrechreiz unterdrücken? Und da wir alle schuldig sind: welcher Unterbrechertyp sind Sie?

Boris Kretzinger

07. Oktober 2021

Denn mal ehrlich: Wir haben den Unterbrechreiz alle schon längst für uns entdeckt. Spätestens, seit man seiner Mutter in jungen Jahren ins Wort gefallen ist, sind alle Schranken offen. Ganz gleich, ob man dafür in den Senkel gestellt wurde oder nicht. Darum frage ich mal provokativ: Wann haben Sie zuletzt eine Talkshow gesehen, in der sich die Gäste gegenseitig geduldig ausreden ließen? Und wann haben Sie zuletzt Ihr Gegenüber – privat oder geschäftlich – mitten im Satz unterbrochen? Dahinter steckt tatsächlich mehr als Ungeduld oder vielleicht auch Unhöflichkeit. Es geht darum, wer eigentlich den Ton angibt und ein Narrativ kontrolliert.

Unterbrechen ist ein Machtspiel

Eines ist uns doch klar: In einem Gespräch auf Augenhöhe sollte kein Diskutant den anderen unterbrechen. Wer unterbrochen wird, ist schnell frustriert – wir können uns in eine solche Situation leicht hineindenken. Jemand fällt uns ins Wort, noch bevor wir einen Gedanken zu Ende formuliert haben. Gar nicht mal so schön. Man fühlt sich überfahren, ja vielleicht sogar ein wenig erniedrigt. Egal, ob in einem Gespräch unter Freunden oder während der Arbeit. Wie viel Hierarchiedenken dahinter steckt, wird schnell klar, wenn wir uns das Phänomen im Business-Kontext vorstellen. Was ist wohl wahrscheinlicher: dass der Praktikant dem Chef ins Wort fällt oder umgekehrt? Richtig. Höhergestellte Mitarbeitende unterbrechen untergebene sehr viel häufiger. Wer es umgekehrt wagt, gilt schnell als vorlaut oder frech. Es ist ein kleines Machtspiel mit der unausgesprochenen Botschaft: meine Zeit ist wertvoller als deine. Der oder die Unterbrechende stellt die Bedeutung seines Beitrages über die seines Gegenübers.

Welcher Unterbrechertyp sind Sie?

Tja, und nun die bittere Erkenntnis: wir alle sind mal Opfer und mal Täter. Ich möchte jedenfalls gerne mal den- oder diejenige kennenlernen, die mit Engelsgeduld stets den langatmig dozierenden Kollegen in einem zeitlich knapp angesetzten Meeting ausreden lässt. Oder das Paar, das sich noch nie gegenseitig ins Wort gefallen ist, weil einer weiß, auf welchen Punkt der andere hinauswill. Der Unterbrechreiz steckt tief in uns, und manchmal können wir gar nicht anders, als ihm freien Lauf zu lassen. Dabei lassen sich grundsätzlich folgende Typen unterscheiden – bewusst abwechselnd mal männlich und mal weiblich gehalten:

  • Die Ungeduldige, die schon erahnt, in welche Richtung das Argument oder der Gedankengang des Gegenübers geht und einfach nicht so lange warten möchte, bis es ausgesprochen ist.
  • Der Besserwisser, der seinem Dialogpartner unbedingt zeigen muss, dass er die gerade begonnene Perspektive schon längst verinnerlicht und für sich abgehakt hat.
  • Die (selbsternannte) Moderatorin, die womöglich einen langatmigen Monolog beenden und auch andere Gesprächspartner zu Wort kommen lassen möchte.
  • Der Pseudo-Fragesteller, der jemandem ins Wort fällt, um nur scheinbar eine Frage zum gerade Gesagten zu stellen, nur um sich – und dem verdutzt dreinschauenden Gegenüber – anschließend sofort selbst die Antwort auszuführen.
  • Die Aufpasserin, die verhindern möchte, dass ihr Gegenüber anhand des Gesagten sich oder andere womöglich in eine Bredouille bringt.

Let me stop you right there

Wer fragt, der führt, heißt es so schön. Aber ehrlicherweise ist es doch so: Wer ungestraft unterbrechen darf, der herrscht – nämlich über die Redezeit des Gegenübers. Er gewichtet, be- und entwertet dessen Aussage on the fly, würgt ab und frustriert. Dabei geht es auch gar nicht um die Umgangsformen. Denn auch ein höfliches Ins-Wort-fallen ist nichtsdestotrotz eine Unterbrechung. Es hängt von der Reaktion des Gegenübers ab, ob er oder sie sich dem beugt, oder eben nicht. Wer schon einmal eine Talkshow mit Politprominenz gesehen oder gehört hat, kennt die Unterbrechung auch als journalistisches Instrument – wobei Instrument hier nichts Filigranes, sondern eher Brachiales meint. Im Englischen wird es meist wunderbar eingeleitet mit einem „Let me stop you right there.“ Mir ist keine ähnlich häufig gebrauchte Formulierung im Deutschen bekannt, die eine Unterbrechung derart „in your face“ schlägt, darum mag sie hier als Beispiel herhalten. Dass das eben nicht sein muss, zeigen immerhin einige Formate ganz wunderbar.

Gegen den Unterbrechreiz helfen keine Tabletten

Wir müssen uns also in beide Rollen hineinversetzen und uns für den Unterbrechreiz sensibilisieren. Alle oben genannten Reizauslöser lassen sich erkennen, wenn man sie sich selbst bewusst macht. „Warum will ich mein Gegenüber unterbrechen?“, lautet dabei die Schlüsselfrage. Beinahe alle – bis auf den letzten – der oben genannten Punkte gehören zudem in die Gruppe der unhöflichen Unterbrechreize. Einzig ein von allen Gesprächsparteien akzeptierter Moderator sollte die Redezeiten der Teilnehmenden steuern. In einem Dialog braucht es ihn nicht – in einem Meeting hingegen unbedingt. Nicht die frühestmögliche Unterbrechung überzeugt, sondern das gewichtigere Argument. Das gegenseitige Ausredenlassen, gerade bei Themen, in denen beide unterschiedliche Auffassungen haben, bleibt für mich eine hohe Tugend. Auch ich bin ihr nicht immer treu – aber ich gelobe Besserung. Leider gibt es gegen den Unterbrechreiz keine Tabletten. Da bleibt nur der schwierige Weg der erhöhten Achtsamkeit.