Punkt, Doppelpunkt, Sternchen, Unterstrich, Slash, Binnenvokal … wie gendert man eigentlich korrekt in den sozialen Medien? Ob Unternehmen gendergerechte Sprache benutzen und wie das aussehen soll, wird vielfach diskutiert. Warum das aber durchaus Sinn macht, welche Herausforderungen damit zusammenhängen und warum es ein Stück Gesellschaftsutopie ist.

17. Juni 2021

Wer nach gendergerechter Sprache googelt, findet auf den ersten Seiten der Suchtreffer vor allem Websites von Universitäten. Schnell wird klar: Gendern ist immer noch vorwiegend ein akademisches Thema. Dabei hat es bereits 2018 Einzug ins deutsche Recht gehalten, als die bis dahin geltende binäre Geschlechtsidentität endete. Neu hinzu kam nunmehr auch formal das dritte Geschlecht. Bis Ende September 2020 nutzten laut einer Umfrage des Bundesinnenministeriums deutschlandweit rund 394 Menschen diese Option in ihren amtlichen Dokumenten. Dazu kamen 1.191 Änderungen des eingetragenen Geschlechts. Aufgrund der scheinbaren Marginalität dieses Themas tendieren viele dazu, die Sache entweder nicht ernst zu nehmen oder gleich kleinzureden – und befördern damit genau das Stigma, das mit der gendergerechten Sprache gebrochen werden soll. Das geschieht auch oft in der mittelständisch geprägten Logistik.

„Aus Gründen der Lesbarkeit“

Wer nach „Gendern“ im Zusammenhang mit dem drittgrößten Wirtschaftsbereich hierzulande sucht, findet recht häufig folgende Formulierung in der ein oder anderen abgewandelten Form: „Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.“ Mit anderen Worten: Alles bleibt, wie es ist, und es hat sich bitte jeder angesprochen zu fühlen. Danke, auf Wiedersehen. „Aus Gründen der Lesbarkeit“ klingt ja auch schon schrecklich unzumutbar. Da hat man schon die ersten vier Jahre seines Schullebens ganz dem Lernen von Lesen und Schreiben gewidmet und dann soll sich daran nun plötzlich etwas ändern – schon wieder, möchte man noch anfügen, nach der gefühlten allgemeinen Verunsicherung, die bereits die Rechtschreibreform von 1996 brachte. Die Sprachwelt gerät aus den Fugen! Höchste Zeit, sich zu fragen, was die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) zum Thema Gendern zu sagen hat. Und die bezieht auf ihrer Website klare Position: „Die Gesellschaft für deutsche Sprache unterstützt die Bemühungen um eine sprachliche Gleichbehandlung“, heißt es dort. Na wunderbar, dann ist der Fall ja wohl schon etwas klarer, oder? Leider nein.

Denn die GfdS antwortet eigentlich mit einem klaren „Jein.“ Weiter heißt es dort: „Gleichwohl empfiehlt sie nicht alle derzeit gängigen Methoden, um Sprache geschlechtergerecht zu gestalten, nämlich dann nicht, wenn sie einerseits den oben genannten Kriterien widersprechen und – nach heute gültigen Regeln – grammatikalisch und orthografisch nicht vertretbar sind.“ Diese „oben genannten Kriterien“ sind: Lesbarkeit, Verständlichkeit, Vorlesbarkeit, grammatikalische Korrektheit, Eindeutigkeit und Rechtssicherheit. Wow, viel mehr geht aber auch nicht. Man ahnt schon, in welche Richtung die einleitend formulierte Bejahung des Genderns geht: Das diverse Geschlecht hat sich bitte entweder in den männlichen oder weiblichen Formen wiederzufinden. Das stellen die Gender-Leitlinien mit einer wunderbaren Smiley-Ampel auf der Website klar. Also gibt es ja doch klare und eindeutige Vorschläge, wie man gendern sollte? Spoiler Alarm: Nein. Denn die GfdS vergibt an alle Gendersternchen, Gendergap, Doppelpunkt, Binnenmajuskel oder sonstige echte Genderformen einen roten Smiley. Was man also darf: Paarformen (Schülerinnern und Schüler), Kurzformen (Lehrer/-in). Und man könne natürlich statt von Kollegen vom Team sprechen oder von der Belegschaft. Man kann Passiv-Konstruktionen nutzen, was dann besonders behördlich klingt, wenn es zum Beispiel heißt: „Folgende Unterlagen sind beizufügen.“ Oder man verwendet Partizipien, spricht also von Mitarbeitenden, Studierenden, etc. Mal ehrlich: Das alles klingt doch viel konstruierter und bemühter als ein kleines Symbol. Als wehre man sich mit Händen und Füßen gegen einen Wandel, der einem irgendwie unheimlich scheint.

Sprache ist dynamisch

Im real existierenden Gender-Gap, in dem eine Bankkundin nicht einmal darauf bestehen kann, Kontoinhaberin genannt zu werden, ist das nur passend. Im Vergleich zum Bundesverfassungsgericht ist die Position der GfdS geradezu progressiv. Denn das Verfassungsgericht urteilte, dass die Verwendung männlicher Begriffe in Formularen zu keiner spürbaren, realen Benachteiligung von Frauen führe. „Durch das sogenannte generische Maskulinum würden nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und Sprachverständnis Personen jeden natürlichen Geschlechts erfasst“, heißt es in der Begründung. Allerdings geht es dort auch um Formularsprache und Gesetzestexte, nicht um zielgruppenorientierte, persönliche und ansprechende Texte, wie sie in den sozialen Medien verwendet werden.

Sprache ist etwas sehr Dynamisches, wie die zahlreichen ins Deutsche übernommenen Begriffe aus allen möglichen Sprachen uns bis heute vor Augen führen. Und wo wäre sie dynamischer als im Internet, das – begonnen mit dem Chat aus einer Zeit, in der man noch regelmäßig AOL-Disketten im Briefkasten fand – uns ganz eigene Abkürzungen oder sogar Emojis brachte, die heute aus der schnellen Kommunikation im Web nicht mehr wegzudenken sind. Wenn die Gesellschaft für deutsche Sprache also Genderzeichen „nach heute gültigen Regeln“ quasi den Zutritt verwehrt, heißt das keineswegs, dass sich die Formen nicht doch in den nächsten Jahren in die Schriftsprache einschleichen können. Sprache ändert sich. Und jedes noch so präskriptive Werk, ob es nun der Duden oder ein Rat für Sprache ist, kann das verhindern. Übrigens: Konrad Duden – der Vater des gelben Folianten, den wir so gerne zu Rate ziehen – wehrte sich vehement gegen die Großschreibung von Substantiven. Das sei einfach unnötig und verwirrend. Durchgesetzt hat er sich mit seiner Position jedoch nicht, wie wir wissen. Aber das zeigt, wie subjektiv wir alle Schriftsprache wahrnehmen. Ich beispielsweise würde „Telephon“ noch gerne so schreiben und hätte auch an „Elephant“ nichts auszusetzen. Tja.

Gendern als Gesellschaftsutopie

Ich bin – trotz gelegentlich altmodisch anmutenden Sprachgebrauchs – absolut für das Gendern in den sozialen Medien. Ja, es ist umständlich und liest sich ungewohnt. Keine Frage. Aber es symbolisiert für mich einen kleinen, aber wichtigen Teil unserer gesellschaftlichen Entwicklung. Und wo wäre diese noch recht neue Art der Schriftsprache denn besser aufgehoben als im dynamischen Umfeld der sozialen Medien? Als wichtiger Teil desselben World Wide Webs, das uns Emojis und Abkürzungen wie „imho“ und „lol“ gebracht hat? Anders als diese schwingt jedoch beim Gendern nicht nur eine jugendliche Leichtigkeit mit, die keinem höheren Zweck dient. Es geht auch nicht nur darum, die weiter oben offiziell gemeldeten Fälle von geschlechtlicher Diversität abzubilden. Für mich geht es darum, ein ganz kleines Stück Gesellschaftsutopie abzubilden. Dass es wirklich – und deutlich lesbar – egal ist, welches Geschlecht jemand hat, woher er oder sie kommt und welchen kulturellen Hintergrund er oder sie mitbringt. All das fließt im englischen Begriff Gender ein, weswegen er sich vom rein biologischen Geschlecht unterscheidet. Er ist die zeichengewordene Regenbogenfahne unserer Schriftsprache. Und es ist dabei völlig egal, an welche Zielgruppe sich ein Text in den sozialen Medien richtet. Denn niemand käme ernsthaft auf die Idee, zu sagen, dass beispielsweise die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau doch bitte auch immer im Kontext gesehen werden müsse und man es ansonsten aber jetzt bitte mal nicht übertreiben solle. Dass das Gendern dabei online auch technisch gelegentlich an Grenzen stößt, ist etwas, über das man ansonsten bei Debatten zu diesem Thema eher selten stolpert. In Hashtags gibt es beispielsweise keine Sternchen, Unterstriche oder Punkte. Vielleicht wird sich auch das noch ändern.

Darum empfehle ich dringend, zu gendern. Vor allem in den sozialen Medien. Gerade und auch mit Zeichen, die den Lesefluss stören, über die man stolpert und die unbequem sind. Man gewöhnt sich mit der Zeit auch an das anfangs Ungewohnte. Und für alle, die sich nach einer einheitlichen Vorschrift sehnen, habe ich eine gute Nachricht: Wenn sich nach ein paar Jahren ein Symbol als klarer Favorit abgezeichnet haben wird, wird es sicherlich auch endlich in den Duden aufgenommen werden. Das macht es ja nicht falsch, derweil auf ein anderes Pferd gesetzt zu haben. Sie können natürlich auch darauf warten. Oder eben schon heute ein kleines bisschen Zukunftsmusik in Ihre Social-Media-Kommunikation packen. Genau dort, wo kein Impressum (das niemand liest) dem Lesenden erklärt, dass er oder sie sich bitte angesprochen fühlen soll. Dort, wo sonst doch alles so locker und frei und luftig sein darf. Dort, wo jedes Unternehmen sich einen Monat lang mit einer Regenbogenfahne schmückt, aber in den Stellenanzeigen auf der eigenen Website bestenfalls nur „Mitarbeiter/-in“ sucht. Was haben Sie schon zu verlieren? Oh, und während wir hier noch fröhlich überlegen, ob und wie, schafft Apple klare Verhältnisse: Auf iPhones mit iOS 15 wird künftig gegendert.