Was liest man nicht die letzten Wochen alles so im Social-Media-Umfeld. Facebook: RIP. Instagram: Copycat. TikTok: Must-have with basket. Aber was davon ist echt social und passend zu meinen Marketingaktivitäten? Vielleicht ist die derzeitige Trend-App aus Frankreich BeReal die Antwort? Haben Sie die App schon auf dem Smartphone?

Wenn ja, sind Sie nicht allein, denn die App hat Berichten zufolge bis zu zehn Millionen aktive Nutzer täglich (Stand: Ende August 2022). Das ist ein rasanter Anstieg von den lediglich 10.000 Nutzer.innen vor etwas mehr als einem Jahr. Und das soll nicht das Ende sein: Das Ziel sind mehr als 100 Millionen Nutzer.innen täglich – mit derzeit weniger als 30 Mitarbeiter.innen.

Das Besondere an BeReal ist das Prinzip. Anders als bei allen anderen aktuell relevanten Social-Media-Apps macht diese Anwendung es den Anwendern äußerst schwer, sich selbst und das eigene Tun zu inszenieren. Stattdessen gibt es einmal am Tag eine Benachrichtigung, ab der man zwei Minuten Zeit hat, ein Foto mit der App aufzunehmen und zu posten. Dabei nimmt man ein Foto gleichzeitig mit der Front- und Rückkamera des Smartphones auf. Außerdem kann man das Bild nur innerhalb der App machen und beispielsweise nicht aus der Galerie auswählen. Damit sowie durch die zufällige Benachrichtigung und das enge Zeitfenster soll BeReal authentischer sein als andere Social Media Apps. Zudem ist diese Social-Media-Anwendung darauf ausgelegt, dass man sie unter Freunden verwendet und der öffentliche Discovery-Feed nicht im Fokus steht. Die App ist aktuell komplett kostenlos. In eigenen Worten von BeReal: „Keine Filter. Keine Anhänger. Nur Freunde, die miteinander teilen. Auf BeReal entdecken Sie das wahre Leben Ihrer Freunde und kommen ihnen näher.“

Dieser Ansatz findet eindeutig Anklang – so sehr, dass andere Apps nun versuchen, diese Kernwerkzeuge zu replizieren. Instagram arbeitet beispielsweise derzeit an einer neuen „IG Candid“-Funktion, die der BeReal-Benutzeroberfläche sehr ähnlichsieht.

 

BeReal will dagegen nicht wie andere Apps sein, sondern mit seinen Mechanismen mutmaßlich authentische Momente einfangen. Ein klarer Gegensatz vor allem zur Konkurrenz von Facebook, wo Nutzer.innen für eine bessere eigene Inszenierung sogar noch Filter erhalten, die sich beispielsweise live in Videos anwenden lassen. Damit die Augen größer und strahlender aussehen, Falten verschwinden und man sich insgesamt als eine bessere Version seiner selbst zeigen kann. Gesund ist das nicht. Aktuelle Studien und Leaks von Facebook-Mitarbeiter.innen zeigen, dass diese unrealistischen Darstellungen unter anderem zu einer negativen Selbsteinschätzung und nachfolgenden Auswirkungen auf die psychische Gesundheit führen. Da aber Prominente mit hoher Reichweite übermäßig mit Photoshop bearbeitete, hyperreale Bilder von sich online teilen, führt dies zu neuen Trends in der Repräsentation und zur Präsentation ihres idealen Bildes.

Warum gewinnt BeReal also an Zugkraft? Mit den unmittelbaren, alltäglichen Bildern bietet die App eine besser zuordenbare Darstellung des wirklichen Lebens, die tatsächlich dazu beitragen kann, Gemeinschaft und Verbindung unter Freund.innen aufzubauen, ganz im Gegensatz zu den meist unbekannten Online-Followern.

 

Marketingmöglichkeiten mit BeReal

Einige Marken experimentieren bereits mit BeReal, so zum Beispiel die US-amerikanische Restaurantkette Chipotle, die die App verwendet hat, um exklusive Aktionscodes zu teilen:

„Als Chipotle im April zu BeReal kam (eine der ersten großen Marken, die dies taten), teilte es eine Woche lang wiederverwendbare Promo-Codes in seinen Beiträgen: Die ersten 100 Personen, die die Aktion nutzen, erhalten eine kostenlose Mahlzeit. Diese Codes wurden regelmäßig in weniger als einer Minute eingelöst.”

Andere Marken nutzen die App, um Nutzer.innen einen Blick hinter die Kulissen zu gewähren oder um ihre Geschäftstätigkeit zu erklären. Einige testen auch variable Ansätze für Produktvorschauen und -angebote, basierend auf dem zweiminütigen Zeitfenster von BeReal. Wer die App allerdings aktiv für Werbung nutzen möchte, hat schlechte Karten: BeReal bietet derzeit keine formelle Werbung und schließt sich damit als weitere Plattform mit einer regelmäßigen Einnahmequelle für Influencer aus. Möglich, dass sich das in Zukunft ändert, da die App weiter skaliert und bestrebt sein könnte, ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell aufzubauen. Der aktuelle Hype und damit zusammenhängenden stark steigenden Nutzer.innenzahlen könnten entsprechende Entwicklungen in diese Richtung zusätzlich befeuern.

Allerdings besteht eine große Gefahr darin, dass die Kernattraktivität von BeReal sehr begrenzt ist, sodass sie leicht von anderen Apps nachgeahmt werden könnte. Wie bereits angemerkt arbeitet Facebook bereits an entsprechenden Modi für Instagram. Ziel ist, die Differenzierung von BeReal zu verwässern und die eigenen Nutzer.innen davon zu überzeugen, keine weitere App herunterzuladen. Dieser Ansatz hat sich in der Vergangenheit als sehr effektiv erwiesen. Facebook, Instagram, TikTok und andere werden versuchen, ihre Größe zu nutzen, um die Plattform möglichst irrelevant erscheinen zu lassen, bevor sie zu groß wird. Clubhouse lässt grüßen.

Es bleibt daher abzuwarten, ob BeReal ein wirklich bedeutender Player im Markt um Aufmerksamkeit werden kann. Es lohnt sich aber in jedem Fall zu überlegen, wie die App in einen kreativen Marketingansatz passen könnte, der auf einem echten sozialen Austausch fokussiert.