Dr. Bernhard Albert, Politikwissenschaftler und Experte für strategische Vorausschau, berät seit rund 25 Jahren Unternehmen, Verbände und den öffentlichen Sektor bei Zukunftsanalysen. Mit seinem Team unterstützt er Kunden und Partner bei einer aktiven und zielorientierten Zukunftsgestaltung.
Die Allianz inhabergeführter Agenturen, kurz AIKA, hat 2014 und 2019 Studien vorgestellt, die sich mit der Zukunft der Agenturen beschäftigen. Als Teil der Advanced Foresight Group war Bernhard Albert maßgeblich an der ersten Studie beteiligt und hat sich intensiv mit der zweiten befasst. Zwei Thesen daraus werden im Interview genauer besprochen.
Sie sind mittlerweile seit rund 25 Jahren beratend tätig und kennen sich gut in der Agenturszene aus. Was macht Ihrer Meinung nach eine „klassische Agentur“ aus?
Ich bin unsicher, ob man von „der“ klassischen Agentur sprechen kann, dafür ist das Spektrum zu groß. Eine klassische Agentur ist meiner Meinung nach aber eine, die den Kunden umfassend, strategisch und systematisch berät und begleitet. Das heißt nicht, dass sie den vollen Service bieten muss und alle Leistungen inhouse abbildet, doch sie sollte die Fäden jederzeit in der Hand halten, um dem Kunden ein für ihn optimales Ergebnis zu präsentieren.
Was hat sich in den letzten zwanzig Jahren in der Agenturwelt verändert?
Die Agenturwelt ist deutlich technischer geworden, sodass es immer schwieriger wird, alle erforderlichen Kompetenzen unter einem Dach zu vereinen. Zudem liegt die Markenführung verstärkt beim Kunden, er möchte die Kontrolle behalten, sodass Absprachen und Freigabeschleifen komplexer geworden sind. Das Resultat ist nicht selten eine Hypergenauigkeit, die zulasten der inhaltlichen Qualität geht.
Megatrends in der Agenturwelt sind die zunehmende Projektorientierung, die Individualisierung und der demografische Wandel. Durch die Verschiebung von Retainern hin zu einzelnen Projekten sinkt die Zahl an Festangestellten, weshalb die Personalfluktuation steigt. Die macht sich – bedingt durch den demografischen Wandel – auch ganz allgemein auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar, sodass man häufiger von einem Arbeitnehmer.innenmarkt spricht.
Die Individualisierung ist herausfordernd für Agenturen, weil Maßnahmen viel spezifischer auf die Einzelnen bezogen werden müssen. Jede.r Adressat.in sollte denken: „Genau ich bin gemeint.“ Daran müssen alle Kampagnen auf sämtlichen Kanälen angepasst werden – das macht die Arbeit sehr viel komplexer.
Wie kann man sich als Agentur heutzutage bestmöglich auf zukünftige Entwicklungen vorbereiten?
Zum einen geht es um die harten Fakten: Wie sieht die Zielbranche aus? Wer sind meine Kunden, was macht die Konkurrenz? Eine Umfeldanalyse ist hier das Mittel der Wahl. Mindestens ebenso wichtig sind systematische Weiterbildungsstrategien zu stets neuen Möglichkeiten, die sich der Branche bieten. Außerdem sollte Zeit bleiben, um neue Dinge auszuprobieren. Lern- und Experimentierprozesse machen eine Agentur aus, die so ihr kreatives Potenzial heben und sich immer wieder neu entdecken kann.
Eine These der AIKA-Studien besagt: „Wenn ein Kunde eine Agentur aufsucht, steht die Strategie bereits.“ Wie ist das einzuordnen?
Eine wirkungsvolle Strategie kann nicht aus vielen einzelnen und unkoordinierten Maßnahmen bestehen – das ist aber meist der Fall, wenn sie nicht partnerschaftlich und in enger Zusammenarbeit zwischen Kunde und Agentur entwickelt wurde. Heutzutage treten Kunden häufig mit einer Strategie wie beim Blumenpflücken an: Sie möchten das Heft selbst in der Hand halten und dabei links und rechts schauen, wo sie noch „etwas Hübsches“ aufgreifen können. Sie lassen sich von unterschiedlichen Ideen begeistern und kombinieren diese miteinander. Das Resultat wird dann allerdings nicht aussehen wie ein Strauß, den Florist.innen gebunden haben. Deshalb lohnt es sich für Agenturen, spezifische Strategiedienstleistungen zu entwickeln – und so beim Blumenpflücken zu helfen. Wenn die Agentur auch die Umsetzung begleitet, entsteht am Ende ein stimmiges Gesamtkonzept, bei dem eine Maßnahme in die nächste greift.
Eine weitere These lautet: „Individualisierung und Digitalisierung haben das Publikum abgeschafft.“ Was bedeutet das für Kommunikationsinhalte und Events?
Es gibt eine wahre Flut an Formaten, Content-Pieces und interessanten Events – man muss hier mittlerweile von einem „Viel zu viel“ auf allen Ebenen sprechen. Unsere Aufmerksamkeitsspannen sind zu kurz, wir sind nirgendwo mehr richtig präsent. Das Ziel gelungener Kommunikation muss also sein, die Adressat.innen interaktiv einzubinden – beispielsweise durch Umfragen, die zu Diskussionen anregen, oder durch andere Mitmachformate. Was viel zu häufig fehlt, ist der konkrete Call-to-Action.
Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Wie könnte eine heutige Agentur in zehn Jahren aussehen? Kann sie noch „Agentur“ heißen?
Agenturen werden vermutlich wesentlich fluider sein, als sie es heute sind. Um ein inneres Zentrum herum entsteht ein enges Netzwerk von externen Partner.innen mit ganz unterschiedlichen Kompetenzen. Generell muss man dazu bereit sein, an den Rändern des bestehenden Geschäfts neue Themen aufzubauen und gleichzeitig lernen, Konzepte und Formate loszulassen, die nicht funktionieren.
Vermutlich sollte die Agentur zukünftig auch nicht mehr „Agentur“ heißen – dieser Begriff ist zu sehr an einen Dienstleistungsgedanken gebunden, der das partnerschaftliche Verhältnis nicht hinreichend widerspiegelt, das zwischen Kunden und ihrer Kommunikations- und Strategieberatung bestehen sollte. Den einen Begriff, der die Agentur der Zukunft perfekt beschreibt, haben wir allerdings noch nicht gefunden.